Whangarei, März 1920
Vivian rutschte nervös auf ihrem Stuhl hin und her. Dabei hatte Matui doch gerade erst angefangen zu erzählen und war munter genug, um fortzufahren, doch er hatte innegehalten und musterte sie durchdringend.
»Kann es sein, dass du mit den Gedanken woanders bist?«, fragte er streng.
»Nein, ich höre dir zu. Ich ...«
»Nun geh schon!«
Vivian sah ihn verblüfft an. »Aber woher weißt du immer, was in meinem Kopf vor sich geht?«
Matui lachte. »Dazu muss man kein weiser Mann sein, sondern nur Augen im Kopf haben, denn du bist wie ein offenes Buch. Du überlegst doch die ganze Zeit, wie du mir, ohne mich zu beleidigen, beibringen kannst, dass ich meine Erzählung ein wenig unterbrechen möge.«
»Du bist großartig«, seufzte Vivian, bevor sie aufsprang, ihm noch einen Kuss auf die faltige Wange gab und ins Haus eilte.
»Das ist der falsche Weg«, lachte er, doch da war Vivian schon verschwunden. Hastig zog sie sich um. Sie wollte Fred in dem Kleid überraschen, das im Haus des Bischofs so viel Missfallen erregt hatte. Ob ich ihn wohl vor seiner Abreise noch einmal sehen werde?, schoss es ihr flüchtig durch den Kopf, doch sie verscheuchte den Gedanken an ihren Vater sofort wieder.
Als sie in ihrem knielangen Kleid auf die Veranda trat, schüttelte Matui missbilligend den Kopf.
Vivian aber lachte. »Meinem Vater hat das Kleid auch nicht gefallen, aber ich ziehe es schließlich nicht für euch an. Und Fred gefällt es.«
Sie küsste Matui zum Abschied noch einmal überschwänglich und sauste los. Auf dem Weg durch den Busch dachte sie nur an das eine: Wie würde Fred reagieren, wenn sie plötzlich vor seiner Tür stand?
Als sie unten ankam, beschleunigte sich ihr Herzschlag, und ihre Knie wurden weich bei der Vorstellung, in wenigen Augenblicken den Mann zu küssen, den sie von Herzen liebte. Sie musste an ihre Großmutter Lily denken, die es in jeder Faser ihres Körpers gespürt hatte, dass Tamati der richtige Mann für sie war. Genauso empfand es Vivian. Allein bei dem Gedanken, dass seine Hände sie überall voller Leidenschaft berühren würden, rieselten wohlige Schauer durch ihren Bauch.
Als sie das Hotel betrat, atmete sie noch einmal tief durch, bevor sie den alten Mann an der Rezeption nach Mister Newman fragte.
»Die sind da«, brummte er und deutete in Richtung Speisesaal. Vivian dachte zunächst, sie habe sich verhört. Deshalb fragte sie noch einmal nach.
»Die?«
»Ja, der Mister und diese Dame, die heute angekommen ist.«
Vivian wurde so schwummrig, dass sie sich gegen die Wand lehnen musste. In ihrem Kopf drehte es sich. Ihr erster Gedanke war die Flucht, doch dann fragte sie sich, ob sie wohl ihres Lebens froh würde, wenn sie wegen eines bedauerlichen Irrtums auf ihr Glück verzichtete. Denn wer sagte, dass es eine Frau war, die privat zu ihm gehörte?
Vivian straffte die Schultern, stolzierte aufrecht in den Saal und sah sich um. Heute waren alle Plätze besetzt, und an einem Tisch, an dem nur Männer saßen, verstummten sämtliche Gespräche, als sie hereinkam. Oh, wie sie diese gierigen Blicke verabscheute, in denen geschrieben stand: Komm mit auf mein Zimmer!
Sie missverstanden Vivians suchenden Blick. Einer der Herren sprang nun von seinem Stuhl auf und rief durch den halben Saal: »Kommen Sie, hier ist noch ein freier Platz!«
Vivians Wangen glühten vor Verlegenheit. Da entdeckte sie in einer Ecke Frederik, so vertieft in das Gespräch mit einer blond gelockten Frau, dass er sie nicht einmal bemerkte.
Der aufdringliche fremde Mann war inzwischen von seinem Stuhl aufgestanden und bot Vivian seinen Arm an, doch sie zischte nur: »Lassen Sie mich in Ruhe!« und steuerte auf Frederiks Tisch zu.
»Kann ich dich mal unter vier Augen sprechen?«, fragte sie, statt ihn zu begrüßen. Frederik fuhr herum und machte keinen besonders begeisterten Eindruck, sie zu sehen.
»Meine Güte, Sie haben aber auch ein Talent, in den unmöglichsten Augenblicken zu erscheinen! Und dass Sie sich das überhaupt noch trauen. Da haben Ihr Verlobter und Sie ja was Feines angerichtet«, schnaubte Isabel entrüstet.
Jetzt fand auch Frederik seine Sprache wieder. »Wie du siehst, ist es gerade schlecht, weil Isabel überraschend aus Auckland gekommen ist, um mit mir zu reden. Vielleicht setzt du dich einfach zu uns.«
»Nein, Frederik, ich setze mich doch nicht mit dieser Person an einen Tisch«, protestierte Isabel.
Frederik rang noch nach den richtigen Worten, als Vivian ihm zuvorkam. »Es hat sich schon erledigt«, bemerkte sie kühl und drehte sich auf dem Absatz um.
»Vivian, vielleicht später!«, rief er ihr hinterher, aber das hörte sie nicht mehr. Sie hatte das schreckliche Gefühl, das alles schon einmal erlebt zu haben. Wie dumm von mir zu glauben, dass er sich grämt und nur darauf wartet, dass ich ihm meine Liebe gestehe, dachte sie bitter. Zumal er davon ausgehen muss, dass ich mit Ben verlobt bin. Dieses Mal aber rannte sie nicht, sondern stieg wie betäubt auf den Berg zurück.
Als sie bei Matuis Haus angekommen war, fand sie ihn tief schlafend auf seiner Matte vor. Das kam ihr sehr gelegen, denn sie hätte nicht die Kraft besessen, über ihren peinlichen Auftritt zu sprechen. So setzte sie sich auf die Veranda, um den Geräuschen der Tiere zu lauschen, die hier oben in der Dämmerung besonders intensiv waren. Ich habe alles falsch gemacht, dachte sie resigniert, und ich habe außer hier oben auf dem Berg kein Zuhause mehr. Das Schlimmste aber war die Erkenntnis, dass es auch kein Zurück nach London mehr gab, denn sie gehörte mit Leib und Seele in dieses Land. Ihr traten vor lauter Selbstmitleid Tränen in die Augen, als der Hund der alten Maori schwanzwedelnd auf sie zukam und sich vertrauensvoll auf ihre Füße legte. Vivian musste wider Willen lachen. Einen treuen Freund hatte sie wenigstens in Neuseeland gewonnen. Einen struppigen alten Huntaway.
Seufzend blickte sie in die Ferne. Es wurde langsam dunkel, doch der volle Mond sorgte dafür, dass die Umgebung noch gut zu erkennen war. Sie erschrak, als sie am Eingang zum Dorf einen Schatten sah. Auch der Hund schien Witterung aufgenommen zu haben, denn er setzte sich auf. Obwohl er Knickohren besaß, war unschwer zu erkennen, dass er etwas hörte. Als die Gestalt näher kam, erkannte Vivian, wer der späte Besucher war. Ebenso wie der Hund, der Frederik nun schwanzwedelnd und freudig bellend entgegenlief.
Vivian aber spürte einen solchen Kloß im Hals, dass sie befürchtete, kein Wort herauszubringen. Frederik betrat die Veranda und setzte sich.
»Du wolltest mit mir reden?«, fragte er.
»Ja ... nein, es hat sich schon erledigt«, erwiderte Vivian und bereute sogleich, dass sie ihm Gleichgültigkeit vorzuspielen versuchte, während in ihrem Herzen ein Feuer loderte und dies ihre allerletzte Gelegenheit war, die Missverständnisse auszuräumen.
»Das ist nicht wahr«, fügte sie deshalb heiser hinzu. »Ich habe dich aufgesucht, weil ich dir sagen wollte, dass ich nicht mehr mit Ben verlobt bin. Ich habe die Verlobung gelöst, weil ich gemerkt habe, dass der Platz in meinem Herzen besetzt ist. Und im Streit ist mir herausgerutscht, dass ich die Tochter des Bischofs bin. Da hat er geglaubt, ich würde meinen eigenen Bruder lieben, und da musste ich es ihm doch sagen, um Schlimmeres zu verhindern.«
Sie blickte ihn fordernd an. Es verunsicherte sie zutiefst, dass er keine Miene verzogen hatte.
»Nun sag doch was! Vor allem das eine: Was wollte Isabel von dir?«
»Sie wollte mir sagen, dass sie zu mir steht, auch wenn ich nicht der Sohn des Bischofs bin. Dass ich in Auckland bleiben solle und dass ihr Vater mich wieder einstellen werde.«
»Dann ist doch alles in Ordnung«, brachte Vivian nur mit Mühe heraus, denn ihr Mund war so trocken, dass ihr das Reden Schwierigkeiten machte.
»Liebling, wie lange wollen wir das noch so weitermachen? Ich gratuliere dir zu deiner Verlobung, du gratulierst mir zu meiner Verlobung, ich wünsche dir viel Glück mit Ben, du mir alles Gute mit Isabel?«
Vivian blickte ihn verdutzt an. Und noch verblüffter war sie, als er in lautes Gelächter ausbrach.
»Ach, Vivi, wenn du dein Gesicht jetzt sehen könntest. Wie ein Fragezeichen. Aber selbst so bist du die süßeste, klügste und schönste Frau auf der Welt.«
Bevor Vivian überhaupt begriff, wie ihr geschah, hatte Fred sie vom Stuhl gezogen und sie an sich gedrückt. So kräftig, dass ihr beinahe die Luft wegblieb. Dann küsste er sie. Vivian erwiderte seinen Kuss leidenschaftlich.
Als sich ihre Lippen voneinander gelöst hatten, sah sich Fred suchend um. »Wo ist der Hund?«
»Der hat sich taktvoll davongemacht.« Sie lächelte.
»Was meinst du, machen wir noch einen Spaziergang?« Aus Freds Augen glitzerte Begierde.
»Du hast doch was vor«, entgegnete Vivian zärtlich.
»Vertraust du mir?«
»Ja«, entfuhr es ihr aus tiefstem Herzen, und sie hakte sich bei ihm unter. Vivian wunderte sich ein wenig, dass er mit ihr den Weg nach Whangarei einschlug. Als sie den Wasserfall passierten, schlug er ein Bad vor. Vivians Augen leuchteten. Das war eine wunderbare Vorstellung, mit Frederik unter dem sternenklaren Nachthimmel zu schwimmen.
»Wer zuerst ausgezogen ist!«, rief sie übermütig und riss sich die Kleidung vom Leib. Frederik war lange nicht so schnell, sodass sie vor ihm in den See springen konnte, auf dem das Mondlicht sich malerisch spiegelte.
»Na warte!«, drohte er ihr und beeilte sich.
Als er ins Wasser kam, schwamm sie vor ihm weg, aber schließlich konnte er sie packen. Erst balgten sie ein wenig, doch dann schmiegten sie sich aneinander. Selbst im kalten Wasser fühlte Vivian seine Erregung. Ihr wurde so heiß, als würden sie im warmen Sand liegen.
»Vivian, ich möchte dich etwas fragen.«
Sie stöhnte lustvoll auf. »Ich tu alles, was du willst. Auch hier im kalten Wasser.«
»Dann bedeutet das: ja?«
»Ja!«
Vivian wunderte sich, dass er sie losließ. Sie wollte ihm ganz gehören, an diesem einzigartigen Ort, umgeben von grünen Farnen, in den Ohren das Rauschen des Wasserfalles.
»Willst du meine Frau werden?«, fragte Frederik feierlich.
»Ja, auf der Stelle«, lachte sie.
Fred fiel in ihr Lachen ein. »Das wird nicht möglich sein, denn das Wasser ist zu kalt, um das Feuer meiner Lenden aufrechtzuerhalten. Ich schlage vor, wir machen uns ein Bett im Farn.«
Vivian blickte ihn zärtlich an. Der Mond ließ sein Haar fast weiß strahlen. Und dann seine warmherzigen Augen, sein sinnlicher Mund, sein energisches Kinn. Ich liebe ihn, durchfuhr es sie, ich liebe ihn so sehr.
Als sie aus dem Wasser geklettert waren, suchten sie sich einen geschützten Platz und ließen sich ins weiche Moos fallen, das unter den Farnen den Boden bedeckte.
Er küsste sie überall. Erst ihr Gesicht, dann ihren Hals, ihre Schultern. Er wanderte immer tiefer. Als er bei ihren Brustwarzen angekommen war, stöhnte sie leise auf. Er machte es so sanft, dass es ihr wie ein Blitz durch den ganzen Körper fuhr. Als er nun ihren Bauch mit heißen Küssen bedeckte, hatte sie für einen Augenblick Sorge, sie könnte das Bewusstsein verlieren.
Es schien ihn auch sehr zu erregen, denn an ihrem Schenkel spürte sie seine drängende Männlichkeit. Als er sie nun zwischen den Schenkeln küsste, schrie sie auf vor Lust, doch er hörte nicht auf. Vivian wusste nicht mehr, wo sie war. Alles konzentrierte sich auf das, was seine Zunge mit ihrem Körper anstellte, bis es urplötzlich in ihrem Bauch zu kribbeln begann, das zu einem Zucken wurde und sich zwischen ihren Schenkeln entlud. Sie wand sich und bebte von Kopf bis Fuß. Dabei stöhnte und schrie sie seinen Namen, und als er in sie eindrang, krallte sie sich in seinen Rücken und keuchte: »Ich liebe dich!«
Als sie schließlich erschöpft in seinen Armen lag und sie gemeinsam zum Himmel hinaufblickten, fragte Frederik noch einmal: »Willst du meine Frau werden?«
Vivian nickte trunken vor Glück.
»Dann kommst du also mit nach Dunedin.«
»Meinst du, wir können Matui mitnehmen?«
Frederik hob die Schultern. »Von mir aus gern, aber ich weiß nicht, ob der alte Mann sich noch verpflanzen lässt.«
Er beugte sich über sie und hauchte: »Du bist so wunderschön.«
Vivian lächelte und stellte zu ihrer Befriedigung fest, dass Fred erneut mehr als bereit war, in sie einzudringen.
»Komm!«, stöhnte sie heiser und zog ihn zu sich herunter.